Allyn wrote:@ all: Bitte ganz im Ernst würde mich interessieren, welche landesspezifischen Eigenschaften zuordenbar sind? Wie sind Eure Beobachtungen?
Das war natürlich nicht ganz ernst gemeint, aber ein Quäntchen persönliche Erfahrung/Wahrheit steckt dahinter.
Wir haben auf unseren Tierschutzreisen im Ausland und in unserer Praxis ne Menge ausländischer Bellos getroffen und Erfahrungen gemacht. Da gibt es schon so ein paar Gemeinsamkeiten. Ganz sicher darf man die nicht verallgemeinern. Es gibt aber einige Faktoren, die zu „landestypischen“ Verhaltensausprägungen führen können. Zum Beispiel:
Türkei: Auf den Dörfern gehören Streunerhunde einfach dazu. Die Hunde, die dort aufwachsen, leben einfach so mit. Die Kinder spielen mit denen, die Hunde fressen die Abfälle und wenn sie sich benehmen, werden sie auch mal adoptiert (also genau wie die Pemba-Hunde in dem Coppinger Buch „Hunde“, was zu diesem Thema eh extrem empfehlenswert ist! [1]). Was die „Ressource Mensch“ angeht, sind diese Hund also perfekt sozialisiert. Wir haben mal Hirten im tiefsten Taurusgebirge in der Südtürkei besucht und die Hunde beobachtet. Das war sehr beeindruckend. Mensch und Hund leben dort wie vor hunderten Jahren und sind ein perfektes Team. Die Hunde bewachen die Menschen und Herden und bekommen dafür Nahrung. Jetzt kommen rassespezifische Eigenschaften dazu. Viele Hunde dort haben in ihrer Ahnentafel einen Kangal oder Akbas – also die typischen Hirtenhunde (nicht Hütehunde!). Die sind mutig, sehr widerstandsfähig, XXL-selbständig und super zuverlässig, wenn es um die Familie geht (loyal).
Was hat das alles mit dem Thema zu tun? Das kommt jetzt und zwar mit den Touristen. Bis auf 100km sind die Hotelburgen schon an den Rand des Taurusgebirges rangekommen. Bei den Hunden aus den Dörfern gibt es ganz klar auch das Problem der ungewollten Vermehrungen --> Überpopulation. Diese Hunde wandern dann. Natürlich wandern die dahin, wo die Touristen (--> Nahrung) sind. Das Nahrungsangebot ist riesig --> also vermehren sich eifrig u. a. mit den Haushunden (Mode-/Rassehunde) vor Ort. Die Zahl der Hunde steigt an und Tierschützer sehen das Problem. Gelindert wird das Problem durch Kastrationen. Aber es wird auch ins Ausland adoptiert.
Jetzt wird es rund: Viele Türkenhunde, die ich hier kennen gelernt habe, weisen Fragmente der o. g. Faktoren auf. Man sieht ihnen ihre Vorfahren häufig an (Hirtenhund), sie sind häufig extrem wachsam, loyal und anderen Hunden gegenüber sehr selbstbewusst (daher das mit der T-Stellung), aber nicht aggressiv! Nochmal: diese regionstypischen Eigenschaften kann man wirklich nur in Nuancen sehen, ist aber – je mehr Hunde man so im Laufe der Jahre trifft – immer deutlicher sichtbar.
Noch ein Beispiel: Griechenland. Hier werden die Streunerhunde weniger geduldet, werden oft als Plage wahrgenommen und sind auf den Dörfern weniger so integriert wie z. B. in der Türkei. Häufig sind es die Männer, die die Hunde verjagen (sehr häufig zu sehen: der typische gr. Macho, der nach einem Hund tritt). Die Streuner in Gr. sind auch sehr beliebte Jagdziele. Lange Rede, kurzer Sinn: Viele gr. Streuner haben Probleme mit Männern. Auch leben die Griechenhunde häufig in großen Gruppen. Also ist Sozialverhalten unter Artgenossen ein großes Thema bei denen. Das bestätigen wiederum auch die vielen GR-Hundehalter, dass ihre Hunde extrem verträglich mit anderen Hunden sind. Typisch eben.
Rumänien: Auf dem Land siehst du dort wirklich in jedem zweiten Vorgarten angebundene Hunde. Sie bewachen Hühnerställe oder sonstiges Nutzvieh. In den Bergen ist es so ähnlich, wie in der Türkei. Die Hunde bewachen die Dörfer und beschützen die Menschen z. B. vor Wölfen. Siehe das ausführliche Türkei-Beispiel oben. Eine großen Unterscheid zur Türkei gibt es: der Tourismus hat in Rumänien weniger Einzug gehalten – es scheint also weniger Durchmischungen mit anderen (Mode)Rassen zu geben. In rum. Städten oder auf dem Land siehst du aber auch viele Hundegruppen (also so ähnlich wie in GR, daher das GR-Beispiel), das wiederum ist in der Türkei dagegen weniger der Fall. Viele Rumänenhunde, die ich gesehen und erlebt habe, erinnern mich auch stark an die Türkenhunde, mit dem Unterschied, dass sie etwas kleiner und „verträglicher“ sind. Außerdem empfinde ich die rum. Hunde als sehr genügsam und anhänglich und auch das lässt sich wieder mit der anspruchslosen Vergangenheit im Hundeleben vor Ort herleiten.
Wenn ich jetzt mit Auslandshunden zu tun habe, frage ich schon nach der Nationalität, weil das manchmal sehr aufschlussreich sein kann. Trotzdem spielt die individuelle Geschichte immer noch die mit Abstand größte Rolle für das Wesen der Bellos.
//Stefan
[1: "Hunde" von Ray Coppinger, Lorna Coppinger]