Der 3. Transport – Reise nach Suceava vom 19.8.-25.8.05
19.08.05
Wir fahren morgens aus Berlin los, kommen aber, weil es Freitag ist, nicht so gut voran. Erst gegen Mitternacht erreichen wir die rumänische Grenze, müssen dort lange anstehen. Hinter Oradea, der Grenzstadt, geht es zum ersten Mal ins Gebirge, dabei sind die Karpaten noch viele Kilometer entfernt. Obwohl es Nacht ist, herrscht reger Verkehr, Autos fahren mit fast 100 km/h durch enge Ortschaften und überholen sich dauernd. Wir werden immer wieder per Lichthupe angeblitzt, weil wir so langsam sind.
20.08.05
Wir erreichen Suceava erst gegen 16:00 Uhr rumänischer Zeit.
Das Hotel ist prima, wir können den Wagen sogar vor der Tür stehen lassen, weil nachts jemand darauf aufpassen wird. Wir sind vor Aufregung hellwach, essen kurz in der Nachbarspizzeria und telefonieren mit Eugenia. Sie holt uns ab und fährt voran ins Tierheim.
Als wir dort eintreffen, ertönt ohrenbetäubendes Gebell. Viele Hunde kommen uns auf dem Vorplatz entgegengerannt.
Eugenia eilt von Gehege zu Gehege und begrüßt ihre Hunde. Wir haben heute noch nicht allzu viel vor, wollen erst mal nur nach den Hunden sehen. Vielleicht finden wir ein paar, die Carol das letzte Mal gesucht, aber nicht gefunden hat.
Als ich meine Patenhündin Mira entdecke, gehe ich hinein in ihr Gehege und bin sofort von zehn anderen Hunden umringt. Sie wollen nichts als berührt werden, springen an mir hoch, und jeder, den ich streichle, drückt sich an mich und hält still. Ich bin wie vom Donner gerührt und verliebe mich in diese großen, kleinen, zarten und starken Wesen, die so freundlich sind und so verrückt nach Menschen.
Foto: meine neue Liebe
Mit Andrej gehen wir schließlich die Gehege ab und finden tatsächlich einige der von Carol vermissten Hunde. Die Patenhunde zu entdecken, einen nach dem anderen, ist ein unglaubliches Gefühl. Viele sehen deutlich kleiner aus als in unserer Vorstellung.
Foto: Cloudy
Wir warten auf Mihai, der erst spät kommt. Er zeigt uns Naomis Tumor und sagt, dass er das Medikament für ihre Chemotherapie in den nächsten Tagen bekommen wird. Der Tumor ist groß, aber nicht offen.
Gegen zehn Uhr abends schaffen wir es, das Tierheim zu verlassen. Wir sind völlig verdreckt, verbreiten einen üblen Gestank und denken nur noch an duschen und schlafen. Abendessen fällt aus.
21.08.05
Wir wollen neue Patenhunde fotografieren und notieren, in welchen Gehegen sie sich aufhalten, damit man sie später schnell wiederfindet. Das ist eine langwierige Arbeit, weil wir jeden potentiell neuen Patenhund mit den alten vergleichen müssen, damit kein Hund mehrfach verpatet wird. Im ersten Gehege fangen wir an. Die, die sich anfassen lassen, hält Martina hoch, ich mache Bilder. Die Hunde einzeln auf dem Boden zu fotografieren ist nicht möglich, viel zu viele andere Hunde wuseln herum und wollen unsere Gesichter ablecken. Manche Hunde sind schüchtern und nähern sich nicht, sie laufen weg, wenn wir auf sie zugehen. Andere sitzen in ihren Hütten und kommen nicht aus heraus, doch die Mehrheit drängt sich an uns, will Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit.
Wir kommen nur langsam voran und merken gar nicht, wie die Zeit vergeht. Als wir Pause machen, ist es später Nachmittag. Martina sitzt im Vorhof und entdeckt einen kleinen Hund, der sofort ihr Herz erobert. Heidi. Wir nennen sie den dicken Igel, weil sie genau da hocken bleibt, wo Martina sie absetzt, und sich keinen Millimeter von ihr wegbewegt.
Foto: Martina und Ninah
Spät am Abend sind wir mit dem ersten Gehege fertig. Wir haben die alten Patenhunde notiert und die neuen fotografiert. Mihai ist gekommen und fährt mit uns zurück in die Stadt.
22.08.05
Wir fangen mit dem zweiten Gehege an. Die kleine Joy ist dermaßen aufdringlich in ihren Annäherungsversuchen, dass wir die Hunde kaum fotografieren können. Wir überlegen, sie für einen Moment draußen anzubinden. Aber das geht gründlich schief. Halsband und Leine kennt sie nicht, sie wehrt sich heftig und gerät außer sich. Gut zu wissen für die Rückreise.
Am Abend bleibt noch ein bisschen Zeit, nachdem wir das zweite Gehege geschafft haben. Zeit für die Hunde in den anderen Gehegen, die wir wenig gesehen haben. Zeit zum Streicheln.
Foto: Peregrin
Wir finden Payacootha. Es geht ihm nicht gut. Seine rechte Vorderpfote ist verkrüppelt, er bellt und verkriecht sich sofort in seiner Hütte, wenn wir kommen. Die anderen Hunde scheinen ihn zu mobben. Wir sagen Mihai Bescheid. Es gelingt ihm, Payacootha aus seiner Hütte zu holen und zum Untersuchungstisch zu tragen.
Payacootha ist alt, auf jeden Fall über zehn, Mihai schätzt ihn sogar auf zwölf Jahre. Sein Fell geht in Flocken aus. Er braucht dringend Ruhe. Wir finden eine eigene Hütte für ihn, stellen sie auf dem Vorplatz etwas abseits auf und legen eine Decke hinein. Er soll auf dem Vorhof bleiben, wir hoffen, dass es mit den anderen Hunden gut geht.
Am nächsten Tag sehen wir, dass er schon ganz entspannt in seiner Hütte sitzt, mit dem Blick nach draußen. Mihai sagt, er kann hier draußen bleiben, es scheint ihm da besser zu gehen.
Foto: Mihai untersucht Payacootha
Wir entflohen die Hunde, die wir morgen mitnehmen wollen, und halten Naomi fest, während Mihai ihr die erste Chemo-Transfusion gibt. Sie weint sehr und wehrt sich, die Transfusionsnadel ist für ihre dünnen Venen viel zu dick. Mihai weint fast selbst, so sehr tut sie ihm Leid. Es ist wieder sehr spät, als wir das Shelter verlassen. Für morgen ist alles so weit fertig.
Wir sind sehr aufgeregt in der Nacht und schlafen kaum.
Foto: Ich nehme Abschied von Mickey
23.8.05
Der Abfahrtstag ist kühl und regnerisch. Wir sind um zehn Uhr im Shelter und tragen die Hunde ins Auto. Sie sind sehr nervös und klettern sofort durchs Gestänge nach vorne, springen auf die Hupe. Wir müssen den Wagen besser absichern und versuchen, eine provisorische Abgrenzung mit Brettern und Decken zu bauen.
Wir verabschieden uns von Andrej und von den Hunden.
Fotos von zwei Gehegen
Leider klappt das mit unserer provisorischen Absperrung doch nicht so gut, es bleibt lange sehr unruhig im Auto. Einige übergeben sich. Erst nach Stunden beruhigen sie sich so, dass sie einschlafen.
Die Rückfahrt über die Karpaten läuft sehr viel besser als auf der Hinreise. Allerdings ist es nicht leicht, die Hunde kontrolliert nach draußen zu lassen. Sie pinkeln auch so gut wie gar nicht, trinken kaum, sind nur beschäftigt mit Schnuppern und Schauen und Grasfressen.
An der rumänischen Grenze warten wir lange darauf, ausreisen können. Es ist jetzt schon kurz vor Mitternacht. Als wir schließlich Rumänien verlassen und uns der ungarischen Grenze nähern, haben sich dort lange Autoschlangen gebildet. Es geht kaum voran. Irgendwann sehen wir, dass die ungarischen Grenzbeamte jedes Auto öffnen und kontrollieren. Wir machen uns keine Gedanken, unsere Papiere sind ja alle in Ordnung.
Doch als wir an der Reihe sind, werden wir wider Erwarten zurückgeschickt. Wir dürfen nicht nach Ungarn einreisen, haben angeblich zu viele Hunde dabei. Der Grenzbeamte sagt: nur fünf Hunde pro Transport. Wir sind völlig vor den Kopf geschlagen, wissen nicht, was wir jetzt machen können.
Carol, die wir mitten in der Nacht anrufen, hat die rettende Idee: das Robert Smith Shelter in Oradea. Sie erreicht Adrian, einen Tierarzt aus dem Shelter, der uns helfen kann.
Adrian kommt tatsächlich und holt uns ab. Martina und ich überlegen, ob wir nicht einfach versuchen sollen, noch einmal über die Grenze zu kommen, aber Adrian rät uns davon ab. Er erklärt uns, dass wir jetzt im Grenzcomputer registriert sind. Wir müssen den Schichtwechsel am nächsten Morgen abwarten.
Zusammen bringen wir die Hunde in das Robert Smith Tierheim. Sie kriegen zu fressen und Körbchen für die Nacht. Danach suchen wir ein Hotel, mittlerweile ist es drei Uhr morgens.
24.8.05
Der Plan ist, mit auf zwei Autos verteilten Hunden über die Grenze zu kommen. Adrian wird drei Hunde übernehmen und vor uns fahren. Da er Rumänisch und Ungarisch spricht, hoffen wir, dass es auf diesem Weg klappt.
Falls wir wieder zurückgewiesen werden, müssen wir die Hunde im Robert Smith Shelter lassen. Oder einige von ihnen, das wären dann die Pflegehunde. Die anderen haben alle Familien gefunden. Allerdings wird es wieder problematisch, wenn wir den Termin für die Schweizer Hunde verpassen. Was dann wird, weiß noch kein Mensch.
Wenigstens ist das Shelter von Robert Smith toll. Hier gibt es Auslauf, keine Gehege, die Hunde können sich auf einem großen Gelände frei bewegen und schlafen nachts in Baucontainern. Sie tun uns unendlich Leid. Aber zumindest würde sich ihre Situation erst mal nicht verschlechtern, falls wir kein Glück haben. Das ist ein Trost.
Die Schlangen an den Grenzen sind wieder sehr lang, uns schlägt das Herz bis zum Hals. Unser Grenzbeamte ist ein gemütlicher Dicker. Wir reichen ihm lächelnd unsere Pässe, er fragt, was wir im Kofferraum haben. Martina sagt: „Ach, nur unser Gepäck und unsere Hunde.“ Er fragt nach Zigaretten und Alkohol. Wir schütteln die Köpfe. Da reicht er uns die Pässe zurück und winkt uns hindurch.
Wir sind über die Grenze. Es war so leicht, so problemlos, dass wir nach dem Ärger von gestern Nacht glauben, das alles nur zu träumen. Martina sagt immer nur: „Wenigstens fünf. Wir haben wenigstens fünf.“
Jetzt warten wir in gebührendem Abstand von der ungarischen Grenze auf Adrian und unsere anderen drei Hunde. Er ruft an und sagt, dass es noch eine Weile dauern wird, noch dreißig Autos sind vor ihm an der rumänischen Grenze.
Wir warten schließlich drei Stunden. Um fünf Uhr abends kommt Adrians Anruf: Er hat es nicht geschafft, die Hunde sind wieder im Shelter. Er ist von den Rumänen an der Ausreise gehindert worden, weil sein Vorderlicht kaputt war.
Es ist unbeschreiblich bitter. Wir können nicht riskieren, zurückzukehren. Wir müssen die Hunde im Shelter lassen und weiterfahren. Adrian verspricht, dass die Hunde so lange dableiben können und gut versorgt werden, bis wir sie über Fahrketten holen können.
25.08.05
Alle anderen Grenzen sind überhaupt kein Problem. Wir werden durchgewunken oder fahren einfach nur an Landesschildern vorbei. Es ist tiefe Nacht. Wir müssen uns beeilen, damit die Schweizer Hunde noch rechtzeitig an die Grenze kommen. Sie schlafen alle fest, mit nur fünf Hunden an Bord gibt es keine Probleme da hinten.
Wir treffen Ingrid und ihren Sohn, die uns die Schweizer Hunde abnehmen. Die Zeit wird gerade noch reichen, sagt sie. Martina und ich sind jetzt so müde, dass wir uns in immer kürzeren Abständen abwechseln. Frühmorgens erreichen wir den Treffpunkt, an dem Carol uns erwartet.
Bericht von Katharina Jakob
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