|
Als Sandra
und ich am … im Tierheim in MC ankamen, traf uns erst einmal der
Schlag. Wir betraten das neu errichtete Haus und standen zunächst
im Chaos. Kisten mit medizinischem Material, welches von der Kastrationsaktion
übrig geblieben war, stapelten sich überall. Im zukünftigen
Aufwachraum der Praxis tummelte sich eine Truppe kranker Welpen, die an
Durchfall litten und ihre Umgebung entsprechend gestalteten… Topi,
ein verletzter Junghund mit verbundenem Beinchen war im Behandlungszimmer
untergebracht. Auf der Suche nach einem geeigneten Ort, um sich zu entleeren,
hatte sie zwei Kisten mit medizinischem Material für geeignet befunden
und sich darin verewigt. Im oberen Stockwerk des Hauses, wo die Büroräume
untergebracht sind, wartete dann die nächste „Überraschung“
auf uns. Eine Katzenfamilie. Zwei Katzenmütter mit ihren Babys „bewohnten“
Sofa und Sessel, aus mehreren Katzentoiletten „duftete“ es intensiv.
(Chaos im Haus)
(Welpen im Haus)
(Katzen im Haus)
Uns fiel
im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade herunter. Es war einer der Momente,
wo man tief durchatmen und sich sagen muss: „Nun erst mal runter
kommen, bloß nicht vorschnell jemanden anmeckern.“ Wir verschoben
das notwendige Gespräch also auf einen passenderen Zeitpunkt.
Der Rundgang durchs Tierheim trug auch nicht gerade zur Verbesserung unserer
Laune bei. Es ist am ersten Tag einfach immer wieder bedrückend,
wie sich die vielen Hunde auf viel zu engem Raum tummeln. Sie stehen sich
gegenseitig auf den Pfoten, der Platz in den Hütten ist hart umkämpft,
Hunde, die sich nicht durchsetzen können, werden von den anderen
gemobbt, Hautkrankheiten stehen bei der Enge und dem Stress Tor und Tür
offen. Uns fielen außerdem ein paar verletzte Hunde auf. Zum Beispiel
Smilla, die eine riesengroße infizierte Wunde am Vorderbein hatte.
Die Wunde war verbunden, aber wir fragten uns, ob solche Verletzungen
inzwischen auch regelmäßig behandelt würden. Bei unserem
letzten Besuch fanden wir einige solcher Hunde unversorgt (siehe Shania).
Inzwischen war Dr. Roth, der neue Tierarzt, im Tierheim tätig. War
die Versorgung nun besser? Fürs Erste fanden wir darauf so schnell
keine Antwort und zogen uns schließlich gegen Abend völlig
erschlagen in unsere Pension zurück. Wir waren völlig frustriert
und hatten das Gefühl, dass sich seit dem letzten Besuch nichts zum
Besseren gewendet hatte. Dass wir mit diesen ersten Eindrücken nicht
ganz richtig lagen, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht und so fiel
es uns schwer, in den Schlaf zu finden. Insbesondere Smillas Bein ging
mir nicht mehr aus dem Kopf. Die Hündin musste wahnsinnige Schmerzen
haben. Ich glaubte damals nicht daran, dass man ihr Bein unter den gegebenen
Umständen würde retten können.
Am nächsten
Morgen trafen wir uns nach dem Frühstück mit Magda und Eva im
Tierheim. Die beiden freuten sich wie immer wie verrückt, uns zu
sehen. Auch Gabi umarmte und küsste uns herzlich. Bei so einer fröhlichen
Begrüßung wurde auch unsere Laune gleich wieder besser. Vorsichtig
schnitten wir die Zustände im Haus an. Ja, wir verstanden, dass es
für die kleinen kranken Welpen im Tierheim sonst keinen vernünftigen
Platz gab. Ja, wir verstanden auch, dass Topi mit ihrem verletzten Bein
unmöglich bei ihren Geschwistern im Zwinger bleiben konnte. Und ja,
wir konnten auch Gabis Tränen nachvollziehen, die bereits ein Donnerwetter
von Magda und Eva über sich hatte ergehen lassen müssen, weil
sie die Katzenfamilie Kindern weggenommen hatte, die sehr grob mit ihnen
spielten und sich nicht anders zu helfen wusste, als sie ins Tierheim
ins Haus zu bringen. Klar, wir verstanden das alles. Im Gegenzug verstanden
Magda, Eva und Gabi, dass das Haus innerhalb weniger Monate einer Ruine
gleichen würde, wenn es nun als Unterschlupf für alle Tiere
herhalten müsste, von denen man sonst nicht weiß, wohin mit
ihnen. Na, da waren wir uns ja alle einig, und nun? In den nächsten
Tagen dröselte sich alles nach und nach auf. Für die Welpen
entstand vor dem Haus auf der Wiese ein eigenes Gehege – inzwischen „Kindergarten“
getauft. Andras, der zu dem Zeitpunkt noch nicht eingestellt war, wurde
gebeten, das medizinische Material zu sortieren und aufzuräumen –
nach ein paar Tagen war das Chaos verschwunden. Mit Topi lebte man einfach
und wischte ihr hinterher. Ein Hund ist kein Hund, das sahen dann auch
wir irgendwann ein, so war sie eben einfach der Praxisbewohner, was soll’s.
Und die Katzen, tja, die Katzen. Tagelang predigten wir Gabi, dass wir
die Katzen keinesfalls mitnehmen würden. Nein, nein, nein. Keine
Katzen! Es gibt auch bei uns schon genügend herrenlose Katzen, sie
lassen sich daher auch nur schwer vermitteln und überhaupt, so etwas
darf erst gar nicht einreißen. Dieses und ähnliches Zeugs hörte
ich mich aus vollster Überzeugung reden – bis, ja bis sich am
vorletzten Tag einer dieser Minitiger auf meine Hand setzte. Damit hatte
meine Standhaftigkeit ein jähes Ende und die Katzentruppe ihr Ticket
in den Pfoten. Inzwischen gehören die beiden Mamas zu meiner Familie
und die Babys sind alle gut vermittelt.
(Bau des Kindergartens)
(Berührung des
Schicksals)
Den neuen
Tierarzt Dr. Roth, von dem wir bisher nur gehört hatten, sollten
wir nun persönlich treffen. Es gab einiges zu besprechen, denn wir
hatten vor, Dr. Roth fest zu bezahlen, falls seine und unsere Vorstellungen
von einer tierärztlichen Arbeit im Tierheim miteinander konform gehen
sollten. Er kam wie an den meisten Nachmittagen gegen 15 Uhr ins Tierheim
und wir begleiteten ihn auf seinem Rundgang. Dabei konnten wir zu unserer
Zufriedenheit feststellen, dass er die Hunde, die uns aufgrund gesundheitlicher
Probleme aufgefallen waren, ebenfalls kannte. Er erklärte uns, welche
Therapien er in den jeweiligen Fällen eingeleitet hatte. Auch Smillas
schlimmes Bein wurde täglich lokal versorgt, außerdem erhielt
sie eine Antibiose. Unsere Sorgen vom Ankunftstag wurden auf dieser Runde
von Gehege zu Gehege ein bisschen kleiner. Wenn ich das so schreibe, dann
darf man das nicht falsch verstehen. Die Zustände im Tierheim sind
durch die schwierigen Bedingungen nach wie vor meilenweit entfernt von
„erträglich“. Aber mit Dr. Roth hatte es wieder eine Verbesserung
gegeben und darüber freuen wir uns sehr.
(Ernie)
Später
lud uns Dr. Roth in sein Haus ein, um alle weiteren Dinge in Ruhe durchzusprechen.
So lernten wir ihn und seine liebe Frau bei Kaffee und Kuchen etwas besser
kennen. Wir waren froh, zu erfahren, dass Herr Dr. Roth eine gut ausgerüstete
Praxis inklusive Röntgen- und Ultraschallgerät besitzt und dass
er durch seine langjährige tierärztliche Tätigkeit in Deutschland
unserer Vorstellung von einer medizinischen Grundversorgung der Tierheimhunde
folgen konnte. Gemeinsam einigten wir uns darauf, dass Herr Dr. Roth täglich
3-4 Stunden im Tierheim für die Hunde da sein wird. Er ist nun dafür
zuständig, die Hunde medizinisch zu versorgen, sie zu impfen, gegen
Parasiten zu behandeln, zu kastrieren und zu chippen. Ich denke, wir sind
uns alle im Klaren darüber, dass die Anwesenheit eines einzelnen
Arztes von täglich 3-4 Stunden niemals ausreichen kann, um 350 Hunde
optimal zu betreuen, mehr ist momentan finanziell nicht möglich.
Mit Dr. Roth
unterhielten wir uns auch über ein weiteres Problem im Tierheim.
Die Arbeiter setzten Magda und Evas Anweisungen nicht immer so um, wie
ihnen das gesagt wurde. Insbesondere der Arbeiter, der von der Stadt finanziert
wird, war in letzter Zeit immer öfter der Meinung, dass er sich von
zwei Frauen nicht sagen lassen muss, was er zu tun hat. Nun gibt es ja
Dinge, die man nicht so eng sehen muss. Wenn aber u.a. die Anweisung,
unkastrierte Hündinnen und Rüden strikt zu trennen, nicht zuverlässig
beachtet wird, dann erreicht man einen Punkt, wo man durchgreifen muss.
Dr. Roth legte uns etwas nahe, was auch wir während unserer letzten
Besuche bereits erkannt hatten. Andras, der bisher auf rein ehrenamtlicher
Basis häufig im Tierheim half, war der einzige Mensch, der es schaffen
konnte, eine klarere Struktur im Tierheimbetrieb zu schaffen. Er verfügt
über das logistische Gespür für solche Dinge, hat eine
tolle Einstellung zu den Hunden und die Arbeiter respektieren seine Hinweise.
Magda, Eva und Dr. Roth baten uns, Andras als Verwalter fest für
das Tierheim einzustellen. Wir beratschlagten hin und her, telefonierten
mit dem Rest des Vorstands in Deutschland, rechneten und kalkulierten.
Es würde auf dem Konto verdammt eng werden. Inzwischen haben wir
Andras tatsächlich als Verwalter eingestellt. Er ist unverzichtbar
für das Tierheim, ohne ihn würde dort alles zusammenbrechen.
Wir können nicht von ihm verlangen, dass er den ganzen Tag für
das Tierheim schuftet, ohne dafür entlohnt zu werden – auch
er hat eine Familie zu ernähren.
(Afife)
Die folgenden Tage brachten Sandra und ich damit zu, die Ausreise der
Hunde vorzubereiten, die uns nach Deutschland begleiten würden. Listen
wurden erstellt, passende Hunde für die Tierheime herausgesucht,
Ausreisekandidaten noch einmal auf Gesundheitszustand und Alter überprüft.
Eigentlich ist dies immer eine schöne Aufgabe, da sie Zeit und Raum
gibt, sich mit all den Hunden etwas näher zu befassen. Dieses Mal
sollte jedoch ein schreckliches und trauriges Ereignis einen großen
Schatten über die Ausreisevorbereitungen legen. Magic, ein wunderschöner
Schäferhund, sollte eigentlich mit uns fahren. Er war noch nicht
kastriert, dies sollte daher nachgeholt werden. Nach der Operation wollte
Magic nicht richtig wach werden und irgendwann setzten sogar eleptiforme
Anfälle ein, die nicht mehr aufhörten und immer schlimmer wurden.
Magic vertrug wohl das Ketamin, einen Bestandteil der Narkose, nicht.
Sein Körper konnte es nicht abbauen und gegen Ketamin gibt es kein
Gegenmittel. So blieb dem Tierarzt nach einem Tag und einer Nacht des
Kämpfens keine andere Möglichkeit, als Magic von seinen schlimmen
Krämpfen zu erlösen…
Natürlich kommt es immer wieder einmal vor, dass in einem so großen
Tierheim ein Hund stirbt. Sei es an einer Krankheit, bei einer Beißerei
oder aufgrund seines Alters. Die Bedingungen sind hart und fordern ihre
Opfer. Es ist immer schlimm, zu erfahren, wenn ein Hund es dort nicht
geschafft hat, zu überleben. Doch wenn es Hunde trifft, die eigentlich
schon eine Fahrkarte in ein neues Leben hatten, dann ist es jedes Mal
wie ein Schlag ins Gesicht. Kaspar, Winnie, Kisathoi, Sivan, Desire, die
sanfte Hündin von Thomas und auch Magic – für sie alle
gab es einen Weg in eine andere Zukunft. Doch kurz bevor sie den ersten
Schritt auf diesen Weg setzen durften, wurde ihnen diese Chance genommen.
Ich hoffe sehr, dass es ihnen dort, wo sie jetzt sind, gut geht.
Am Abreisetag
hieß dann noch einmal Ärmel hochkrempeln. Das Verladen der
Hunde ist immer ein Kraftakt. Wenn man die Hunde durch das Tierheim zum
Transporter trägt, entsteht meist ein Krach, der kaum auszuhalten
ist. 350 Hunde merken sofort, dass etwas Ungewöhnliches passiert
und drehen quasi durch. Alles bellt und springt an den Gittern hoch, die
Luft ist aufgeheizt, sie kocht förmlich. Sandra und ich wollten dieses
Szenario so lange es geht in Grenzen halten und beschlossen, die Hunde,
die wir selbst tragen konnten, alleine einzuladen. Im Zeitlupentempo schlichen
wir durch das Tierheim und tatsächlich lief alles wesentlich ruhiger
ab, als wenn alle anwesenden Personen helfen wollten und hektisch durch
das Tierheim rannten. Auch die Katzen bekamen ihre Box, schön kuschelig
ausgepolstert, ganz hinten im Wagen.
Die letzten
10 Hunde aber waren echte Brocken und so waren wir letztendlich doch auf
die Hilfe der anderen angewiesen. Janos und Joshka liefen gleichzeitig
los und wie erwartet brach im Tierheim die Aufregung aus. Zum Schluss
fehlte nur noch Django. Ein großer grau-weißer Rüde,
der in Zone 3 an der Kette lebte. Django lief als Welpe ausgesetzt in
den Straßen umher und wurde dort von einem Auto angefahren und verletzt.
Er rettete sich in einen Park. Dort wurde er von einigen Frauen mit Futter
versorgt, doch eines Tages drohte man, ihn zu vergiften. So wurde der
freundliche Junghund ins Tierheim gebracht. Da er in allen Zwingern von
den anderen Hunden gemobbt und immer wieder schwer verletzt wurde, landete
er schließlich in Kettenhaltung. Die folgenden 6 Jahre waren seine
Hütte und das bisschen Drumherum, das seine Kette zuließ, sein
ganzes Leben. Nun war für ihn der Tag gekommen, an dem er in die
Freiheit fahren durfte. Ein Hund, der seit Jahren in einem extrem begrenzten
Umfeld gelebt hat, reagiert auf eine derart fremde Situation normalerweise
mit Stress, Unsicherheit, vielleicht sogar Angst. Nicht so Django. Nie
werde ich den Moment vergessen, als Andras mit ihm um die Ecke bog. Er
führte Django an der lockeren Leine und der große Rüde
lief völlig ruhig hinter Andras her – vorbei an anderen Kettenhunden,
die versuchten, nach ihm zu schnappen, vorbei an Zwingern, in denen Hunde
wie wild gegen die Gitter sprangen und die Zähne fletschten, vorbei
an uns und schließlich in den Wagen hinein, wo Andras ihn in seine
Box setzte. Django hatte sich nicht eine Sekunde aus der Ruhe bringen
lassen. Er folgte Andras mit einem grenzenlosen Vertrauen, scheinbar mit
dem Wissen, dass dieser ihm schon den richtigen Weg weisen würde.
Diese Szene
spiegelte für mich alles wider, was Veränderung bedeutet. Es
war ein Abschied und ein Neubeginn, ein Ende und ein Anfang, es war Hingabe
an den Lauf der Dinge.
(Körbchen
gesucht)
Ich denke
an all diejenigen, die sich auf den Weg gemacht haben, auf den Weg ins
Leben oder in eine andere Welt. Ich denke an jene, die darauf warten,
endlich den ersten Schritt tun zu dürfen. Ich danke von Herzen allen,
die dazu beitragen, Wege zu ebnen.
Constanze
Haag
Stufen
Wie jede
Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen.
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden:
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.
Wohlan denn, Herz, nimm’ Abschied und gesunde!
(Hermann Hesse)
(Mona Lisa und Darcy)
|
|