Vermittlungsfrust – oder: der (nicht) funktionierende Hund

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Das Zeiten sich ändern, ist ja nichts neues. Das Leben verändert sich, das eigene Leben verändert sich, Umstände verändern sich. In der heutigen Zeit ändert sich viel vor allem durch Social Media. Niemals vorher gab es so viele geschriebene Meinungen, Ideen. Niemals zuvor hatte man die Möglichkeit, sich seine eigene Meinung und eigenen Handlungen auf solch vielfältige Weise bilden und prägen zu lassen, wie aktuell durch das Internet.

Das alles hat zunehmend auch einen Einfluss auf unser Leben mit unseren Hunden. Nie zuvor war es so „wichtig“, dass Hunde in unserem häuslichen Umfeld funktionieren. Einwandfrei funktionieren. Sie müssen heutzutage da sein, hübsch aussehen und alles so machen, dass man ja nicht auffällt.

Steigende Zahl an Vermittlungen

Langsam dürfte auffallen, worauf dieser Text hinaus will bzw. was uns aktuell sehr bewegt und teilweise auch verärgert.

Nie zuvor haben wir so viele Hunde direkt aus Rumänien vermittelt wie in den letzten zwei Jahren. Der Grund liegt natürlich auf der Hand. Viele Menschen haben nun, durch das vermehrte Arbeiten im Home Office, die Möglichkeit, sich endlich ihren Traum vom eigenen Hund wahr zu machen. Absolut verständlich und für alle Seiten eine Win-Win-Situation. Denn die Anzahl unserer Hunde wird leider auch nicht weniger.

Wir vermitteln mehr und haben demzufolge auch deutlich mehr Arbeit auf gleichbleibenden Schultern. Aber das machen wir gerne. Wir beraten und beraten, wir machen Vorkontrollen und beraten auch hinterher. Wir bekommen prozentual auch nicht mehr Hunde aus der Vermittlung zurück als früher, eher weniger im Vergleich zur Anzahl der Vermittlungen.

Abgabegründe

Was aber immer mehr zunimmt, so scheint es uns, ist eine Schwierigkeit, sich a) auf seinen neuen rumänischen Freund einzustellen und b) ihm das Leben in Deutschland zu erklären und vor allem, ihm zu erklären, wo sein Platz im Leben ist.

Immer häufiger ist der Abgabegrund, dass der Hund den Menschen auf dem Kopf herumtanzt. Immer häufiger ist der Abgabegrund, dass Hundetrainer XY dringend dazu rät, Hund abzugeben oder selber keine Idee mehr hat.  Wir nehmen die Hunde dann in der Regel kurzfristig auf eine unserer Pflegestelle zurück und der Hund läuft dort 1a im Leben mit.  Nur mit ein bisschen Briefing.

Was ist im alten Zuhause schief gelaufen?

So einiges. Der Hund kann „Sitz“, „Platz“ und „Gib Pfote“. Hund kann nicht „Geh auf deine Decke“, „Bleib hier“ und „Aus“. Es scheint beinahe so, als sei es vielen Menschen einfach nicht mehr möglich, einem jungen Hund Grenzen aufzuzeigen. Unsere Hunde ticken nicht anders als Hunde vom Züchter. Sie sind nur schon ein paar wenige Wochen älter, benötigen aber genauso ihre Grenzen.

Wir werden nicht müde vor den Vermittlungen von genau diesen Problemen zu berichten. Zu erklären, dass man erstmal im häuslichen Umfeld Bindung aufbauen muss, dem Hund verständlich erklären muss, was er darf und was nicht und DANN erst damit anfangen sollte, dem Hund Kunststückchen wie „Sitz“ und „Platz“ zu erklären. Die grüne Wiese in der Hundeschule ist ein schöner Zeitvertreib. Aber hier lernt Hund nichts über das alltägliche Zusammensein mit der Familie.

Hundetrainer sind auch nicht immer hilfreich…

Hat man dann das erste Problem zu Hause, kommt das nächstes Problem, nämlich der Hundetrainer nach Hause. Vorweg, dieser Text und unsere hierin enthaltenen sarkastischen Äußerungen spiegeln nur unsere teilweise vorhandene Frustration und nicht eine Allgemeingültigkeit wider.

Ein Beispiel aus unserer jüngsten Vermittlungsvergangenheit: Neujunghundbesitzern tanzt ihr Hund auf der Nase herum. Wer den Text ganz gelesen hat, kann sich denken warum. Nun kam ein Hundetrainer zu ihnen. Einer von der Sorte,  bei der man sich fragt „Woher hat der…“. Ach lassen wir das. Kurz den Hund angeschaut, wurde dem 5 Monate alten, aktiven Kerlchen attestiert, dass es ein „Stresshund“ sei. Aha, ein Stresshund. Erziehungstipp: Dreimal täglich nur noch jeweils 15 Minuten mit dem Hund – angeleint – spazieren gehen. Damit er „runterkommt“! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ein fünf Monate alter Hund, der so leben muss, als hätte er alle Kreuzbänder gerissen. Was folgt, liegt auf der Hand. Wir erhielten ein Video von den Besitzern, das einen völlig frustrierten, unterforderten Leinenrambo zeigte. Wer sollte es ihm verübeln. Wir wollten den Menschen noch Tipps geben, aber man machte deutlich, dass der Hundetrainer sicherlich im Recht sei mit seiner Anmerkung „Das bekommt man nicht hin“ (…er ist ja auch Hundetrainer und nicht wir). Der Hund kommt zurück in seine Pflegefamilie in der er vorher auch schon – völlig normal – lebte. Er darf wieder rennen, Junghund sein und ist hier wieder wie auch vor der Vermittlung völlig normal, zufrieden und wurde dann im zweiten Anlauf wunderbar vermittelt.

Kunststücke statt Erziehung

Ein anderer Junghund wurde vor wenigen Monaten vermittelt, kann „Sitz“ und „Platz“ und stellt seit Anfang an die kleine Tochter. Knappt ihr in Junghundmanier in die Beine. Was es hier von Anfang an gebraucht hätte, wären beschriebene Grenzen. Er hätte von Anfang an lernen müssen, was er darf und was nicht. Etwas, das eigentlich zum normalen Umgang mit dem Hund gehören sollte. Heutzutage aber scheint es vielen Menschen nicht mehr möglich, dem Hund seinen Tunnel aufzuzeigen, in dem er sich bewegen und in dem er leben darf. Ein klares „Nein“ gehört nicht mehr zum alltäglichen „guten“ Ton, wie uns scheint.

Ich könnte ewig so weiterschreiben, von verzweifelten Hundebesitzern, die ihre Hunde völlig ohne Reflexion des eigenen Handelns abgeben, von Hundetrainern, die einfach absolut keine Ahnung von Hundeverhalten und vor allem von ausländischen Hunden haben und von frustrierten Vermittlern, die einfach nur noch mit dem Kopf schütteln könnten.

Totschlagargument Herdenschutzhund

Oft hören wir auch, dass zum Beispiel Hundetrainer Neuauslandshundebesitzern attestieren, dass ihr Ausländer per se schon ein Problem sei. Kommt er aus dem osteuropäischen Ausland ist das Totschlagargument häufig der Herdenschutzhundanteil. Dies macht den Hund in den Augen vieler Trainer und dann auch in denen der eingeschüchterten Besitzer zum unlösbaren Problem. Natürlich sind unsere Hunde vom Grundnaturell keine hibbeligen Terrier oder kernige Jagdhunde, wie z.B. die Hunde aus Spanien. Aber sie sind auch nicht das, was als unlösbares Problem benannt werden muss oder gar unerziehbar, völlig autark und uneingeschränkt territorial. Vielleicht brauchen sie noch klarere Grenzen. Vielleicht ist es beim Rumänen noch notwendiger, dass sie wissen, wo ihre Decke ist und das Besuch etwas Tolles ist. Aber genau das erklären wir im Vorfeld ausführlich. Und! Es ist nichts Schwieriges, dem Hund genau das zu erklären. Im Gegenteil.

Aber anscheinend ist es heutzutage vielerorts nicht mehr zeitgemäß. Der Hund muss von Anfang an mitlaufen, ohne dass ihm erklärt wird WIE. Tut er es nicht, erhält er seinen Stempel.

And finally

Wir müssen dringend wieder von diesem „Laissez-faire“ wegkommen und uns vor Augen führen, dass das, was der junge Hund darf, auch das ist, was der erwachsene Hund tut. Wir müssen anfangen uns vor Augen zu führen, dass wir Neuhundebesitzer für unseren Hund verantwortlich sind und an und mit ihm arbeiten müssen. Es ist keine Ware, die beim zweiten Problem an den „Dienstleister“ Tierschutzverein zurückgegeben werden kann. Man muss lernen, dass man auch mit Macken und Eigenschaften seiner Hunde leben muss und kann. Man muss lernen, dem Hund einen Weg in unser Leben zu zeigen. Hunde müssen in letzter Konsequenz auch nicht perfekt sein. Wir sind es auch nicht. Nur weil andere Menschen vielerorts – vor allem im Internet – zeigen, wie perfekt ihr Hund ist, muss es unserer nicht sein. Jeder Hund, jede Mensch-Hund-Kombination ist unterschiedlich. Fangen wir doch einfach wieder an, diese Unterschiedlichkeit zu mögen, mit ihr zu leben.

Fangen wir vor allem endlich wieder damit an, an unseren Hunden und unserer Einstellung zu ihnen zu arbeiten!

6 thoughts on “Vermittlungsfrust – oder: der (nicht) funktionierende Hund

  1. Mir fehlt hier ein großer, dicker, fetter „Like“-Button, den ich dann wahrscheinlich mehrmals betätigen wollen würde… danke für diesen unglaublich wichtigen Beitrag!

  2. Nika, geschätzte 8 Jahre, lebt seit zwei Monaten bei mir. Nichts von dem, was von einem Hund heute wie im Artikel beschrieben oft leider erwartet wird, kannte sie. Was sie jedoch perfekt kann: klare Regeln und Grenzen akzeptieren und sich sozial angemessen verhalten. Es war meine Entscheidung, sie zu mir zu holen, sie hat sich das nicht ausgesucht, und daher ist es meine Pflicht !!, ihr beim Ankommen im neuen Leben zu helfen, mit meinen Möglichkeiten in ihrem Tempo. Jeder Hund braucht Liebe und Anleitung, manchmal mehr vom einen als vom anderen. Dafür offen zu sein, macht unseren Hund zu einem – nicht gleichberechtigten! – Gefährten mit seinen ganz speziellen Eigenschaften und degradiert ihn nicht zum Kuscheltier oder reinen Befehlsempfänger. Danke für alles, was ihr für die Hunde (und uns Menschen) leistet – und danke für Nika!

  3. Danke für Samu. Er kam 2015 als Jan-Thomas, als frecher Wirbelwind aus Rumänien, der unseren ganzen Haushalt auf den Kopf stellte. Erziehung war wichtig und nahm natürlich auch Zeit und Kraft in Anspruch. Was haben wir alles repariert und renoviert! Aber liebevolle Konsequenz ist wichtig und zahlt sich nach und nach aus. Samu ist der treueste, zärtlichste und verträglichste Hund, den ich kenne. Aktuell leitet er unseren Joschi, Neuzugang nach dem Tod unserer alten Hündin, hervorragend an und gibt all seine Fähigkeiten und Lebensweisheiten an ihn weiter.

  4. Ich habe 4 Pflegestellen zu vergeben bei Interesse bitte eine PN an mich in Facebook senden. Ich nehme auch schwer erziehbare Hund bei mir auf und gebe diesen Tiere eine Führung.

  5. Hallo ihr Lieben!
    Ich kann von ganz ähnlichen Fällen aus meinem Job berichten.
    Ich arbeite mit Kindern und gleiche Problematiken tun sich auch mit Ihnen auf: es fehlt an Grenzen.
    Kinder schreien, schlagen und treten wild um sich, Schimpfwörter sind fast noch das kleinste Problem. Und die Eltern?
    Entweder ich werde auffordernd angeschaut und, weil ich ja der „Profi“ bin, es wird eine Problemlösung von mir erwartet (und das ist tatsächlich nicht primärer Bestandteil meines Jobs). Noch viel schlimmer, die Eltern kommentieren die Situation mit:
    „Das ist doch super! Das Kind drückt seine Gefühle aus und drückt sie nicht weg.“ – Häh?
    „Das liegt an Corona, seitdem ist das Kind durch den Wind.“ – Das Kind ist seitdem durch den Wind, weil das einzige Korrektiv, nämlich die Erzieher/Lehrer, durch das ganze homeschooling und die Quarantäne fehlt.
    Auch Kinder benötigen Grenzen. Grenzen geben einen festen Rahmen vor in dem das Kind Sicherheit findet, in denen es sich auskennt. Ich denke gleiches gilt für Hunde. Leider sind Grenzen in unserer Gesellschaft nicht mehr hip. Schade, denn sie vereinfachen vieles, für alle.

  6. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, das die Tiertrainerin vor versammelter Mannschaft gesagt hat, das mein Hund geistig gestört sei. Weil er von der Straße kommt. Dabei hat meine Naemi nur ihre Power raus gelassen in der Spielstunde und war eine sehr freundliche und zugetane Hündin. Das sie rennt wie ein Podenco weil sie zu viel Energie hat, störte die Trainerin. Auf dem Heimweg habe ich geheult, war zu tief verletzt. Immer wieder wurde mir gesagt das mein Hund zu wild sei. Da war sie ca. 10 Monate alt. Ich hatte überhand kein Problem damit, denn mit viel Liebe 🧡 und Geduld wurde Naemi ruhiger und lernte Dinge des täglichen Lebens. Inzwischen habe ich sie seit 1,5 Jahren und langsam wird sie eine anhängliche Begleiterin. Sie bekommt ihre Zeit zum toben, zum schlafen und zum lernen. Alles zu seiner Zeit. Ich bestimme wann und wie lange. Das zusammen Leben ist sehr schön geworden und viele die am Anfang die Nase über uns gerümpft haben, staunen inzwischen. Wir haben es geschafft, ohne Tiertrainerin und mit viel Fleiß und Ausdauer. Ein Hund 🐕 muss auch Hund bleiben dürfen. Wenn andere sie erziehen wollen, sage ich Stopp ✋. Das ist mein Hund und wir beide kommen sehr gut miteinander zurecht. Sie ist freundlich, hat null Aggressionen und entwickelt sich völlig normal. Also kann ich nur sagen, es braucht Zeit, Geduld und viel Einfühlungsvermögen. Es ist kein Hund vom Züchter der resozialisiert ist, sondern ein Hund ( Lebewesen) mit viel Altlasten die er uns nicht erzählen kann, aber durch so manches Verhalten zu zeigen scheint. Inzwischen weiß ich genau was sie mag, wo vor sie noch Angst hat und was sie möchte. Deshalb würde ich einen Hund von der Straße immer wieder adoptieren. Diese Hunde sind wie Kinder, die in den ersten Lebensmonaten zu wenig oder gar keine Liebe und Zuwendung bekommen haben. Keine Spielzeuge und keine Modestatements.

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