Die vergessenen Seelen Rumäniens

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Die vergessenen Seelen Rumäniens
Sie blicken mich an, ruhig, geduldig, hoffnungsvoll. Sie warten, so wie sie es ihr Leben lang getan haben. Sie warten darauf, dass ihr Leben beginnt. Inzwischen ist das Gesicht grau geworden, die Augen leicht trüb, die Gelenke etwas steif. Sie haben viel erlebt, leider nichts Schönes. Ihr Leben war geprägt von allen nur vorstellbaren Entbehrungen. Es fehlte an Futter, Wasser, Wärme, Bewegung, Kontakt und Zuneigung. Sie ertrugen Hunger, Durst, Kälte, Schmerzen, Demütigungen und die schwere Kette um ihren Hals. Doch was das schlimmste für sie alle war: Es gelang ihnen in all den Jahren nicht, zu ihrem Menschen vorzudringen. Verzweifelt hatten sie immer und immer wieder aufs Neue versucht sich mitzuteilen, zu vermitteln, dass sie nichts schmerzlicher vermissten als die Freundschaft zu einem Menschen. Nun, da sie alt und nutzlos geworden sind, hat man sich ihrer entledigt. Im Tierheim abgeliefert, ohne sich noch einmal nach ihnen umzudrehen. Hier hat zumindest die Gewalt aus Menschenhand meist ein Ende. Doch auch hier herrscht ein rauer Kampf ums Überleben. Auch hier warten sie. Sie warten Jahr um Jahr. Doch ein kleiner Funken Hoffnung bleibt in ihnen bestehen. Das kann doch nicht alles gewesen sein, sie waren doch dazu bestimmt ihren Menschenfreund zu finden. Deshalb blicken sie mich tief und eindringlich an.

Egal welches Tierheim in Rumänien ich betrete, überall finden sich diese verlorenen Seelen. Es ist mir fast unmöglich ihren Blicken stand zu halten, denn sie erzählen von all der Ungerechtigkeit die ihnen wiederfahren ist. Wäre es nicht unsere Aufgabe, wieder gut zu machen, was die Menschheit an ihnen verbrochen hat? Soll all das Leid völlig sinnlos gewesen sein? Sollen sie wirklich nicht ein einziges Mal in ihrem Leben frei sein, Gras unter ihren Füssen spüren, satt und zufrieden einschlafen, sich sicher fühlen? Sollen sie tatsächlich niemals erfahren, wie schön es ist einem Menschen vertrauen zu können? Sollen sie all die Jahre umsonst gewartet haben?

All diese Hunde haben keine Chance auf Vermittlung, nur weil sie alt sind. Die Scheu einem alten Hund ein Zuhause zu geben ist groß: Kann sich der Hund noch eingewöhnen? Hat er vielleicht das ein oder andere Gebrechen? Womöglich stirbt er auch bald. Tatsächlich kann keiner sagen wie viele Jahre sie noch haben. Doch dies ist ihr einziges Leben, ihre einzige Chance. Ich kann nur sagen, dass wir die allerbesten Erfahrungen mit diesen älteren Hunden gemacht haben. Sie sind anpassungsfähig, bescheiden und unendlich dankbar. Sie sind eine Bereicherung für das eigene Leben, sie erwarten nicht viel und geben einem unglaublich viel zurück.

Ich finde, sie haben alles Recht zu leben. Bevor es zu spät ist.

Nina Schöllhorn